7 optische Qualitäten, die beweisen, dass Visual Merchandising Kunst ist.
Visuelles Design im Schaufenster von ROBERTO VERINO, kreiert von Juan Carlos Barrón
Schaufenster haben sich seit der Zeit, als sie noch als einfaches erweitertes Regalprodukt betrachtet wurden, verändert. Heute gilt das Schaufenster als die Seele des Ladens, der erste Eindruck, der die Käufer anzieht. Aber das ist noch längst nicht alles.
Sobald der Kunde einmal im Laden ist, soll er eine spezifische künstlerische Präsenz wahrnehmen, das so genannte Visual Merchandising.
Vergleichbar mit Picassos Kunst ist Merchandising nicht nur visuelle, sondern auch emotionale Kunst – und macht das Einkaufserlebnis unvergesslich.
Wie jedes andere Medium besitzt auch diese vergängliche Kunstform bestimmte Eigenschaften, die sie von anderen kreativen Ausdrucksformen unterscheiden. Aber da sich der Geschmack von Verbrauchern immer weiterentwickelt und anspruchsvoller wird, müssen die Merchandiser die Rolle der modernen Visual Merchandising-Strategien immer wieder neu bewerten und anpassen.
Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist, die Grundlagen des Visual Merchandising zu verstehen - von den Prinzipien der visuellen Forschung bis zur anschließenden Analyse der Ergebnisse, sowohl im Hinblick auf das Markenimage als auch auf den Umsatz.
1. Talent
Das Hauptziel eines Visual Merchandisers (VM) ist es, den Umsatz durch Kommunikation mit der Zielgruppe zu maximieren und eine positive Atmosphäre zu schaffen. Aber da der künstlerische Ausdruck immer auch von persönlicher Erfahrungen geprägt ist, ist das VM untrennbar mit ihrem Schöpfer verbunden - ein Spiegelbild und Ausdruck seiner Persönlichkeit.
Es gibt zahlreiche Fähigkeiten die für das VM erlernt werden können – Organisation und Zeitmanagement, Kommunikation und zwischenmenschliche Fähigkeiten – aber die innovativen und kreativen Aspekte sind denjenigen vergönnt, die mit einer inneren Gabe gesegnet sind. Während die Fähigkeit zum Design eher von akademischer Natur zeugt, ist die Intelligenz, die benötigt wird, um diese visuellen Kreationen zu konzipieren, nicht leicht zu erlernen.
2. Konzept
Im Visual Merchandising gibt es vier wesentliche Aussagen: Kritik, Reflexion, Kundenmeinungen und Überbetonung. Innerhalb dieser Aussagen liegen manifeste, kodifizierte oder intellektuelle Konzepte.
Wenn Sie tiefer in dieses Konzept eintauchen, können persönliche Themen entstehen, die Gefühle, Ideale, Motivationen und Erfahrungen ausdrücken. Auch Umweltthemen wie politische, religiöse oder philosophische Ideologien einzelner Kreativdirektoren können in ihren jeweiligen Kreationen vorkommen.
Die meisten Marken neigen jedoch dazu, sich vor solchen Aussagen zu scheuen. Visual Merchandiser haben die Verantwortung, die Prinzipien und Werte ihres Kunden auszudrücken.
Dennoch ist es fast unmöglich, die individuelle Identität des Künstlers vollständig zu unterdrücken. Wenn man einen berühmteren Künstler beauftragt (der vielleicht für sein Temperament berühmt ist), sollte man sich darauf einstellen, als Endprodukt etwas zu erhalten mit dem man anfangs vermutlich nicht gerechnet hat.
Ein gutes Beispiel hierfür ist vermutlich die Zusammenarbeit zwischen Salvador Dalí und Bonwit-Teller in New York. Nachdem er zwei Schaufenster für den Standort in Manhattan entworfen hatte, wurden Dalís Kreationen von den Mitarbeitern des Ladens ohne sein Wissen verändert. Bei seiner Rückkehr in den Laden stürzte der Künstler sich in einem Anfall von künstlerischer Integrität auf das Schaufenster.
Wandgemälde von Diego Rivera am Rockefeller Plaza, 1993. Das von der marxistischen Ideologie inspirierte Auftragswerk wurde kurz nach seiner Enthüllung vernichtet.
3. Medium
Sowohl das Äußere als auch das Innere des Ladens präsentieren einen roten Faden.
Dieses visuelle Geschichtenerzählen ähnelt, was Komposition, Proportion und Beleuchtung angeht, dem Schaffen eines Künstlers.
Doch künstlerische Techniken und Disziplinen sind nur Ausdrucksmittel, nicht die Kunst selbst.
Betrachten Sie die Unterschiede zwischen fotografischer und digitaler Kunst.
Fotos, die als Kunstwerk betrachtet werden, haben eine künstlerische Komponente, im Unterschied zum kommerziellen Aspekt. Andererseits hat digitale Kunst – wie Websites, Illustrationen, Werbung, Social Media usw. – keine direkte künstlerische Qualität, sondern besitzt in ihrer Gestaltung eine künstlerische Bedeutung, die von ihrem Schöpfer definiert wird.
Zeitgenössisches Visual Merchandising und Schaufensterdekoration funktionieren ähnlich, wobei der Schwerpunkt immer noch auf der Warenpräsentation liegt.
4. Kontext
Visual Merchandising setzt den Kontext der Ware ansprechend in Szene und präsentiert sie in einer Weise, die bummelnde Kaufinteressenten zu Käufern macht.
Als Disziplin der zeitgenössischen Kunst spiegeln künstlerische Auslagen oft eine bestimmte Situation wider, einen Ort und eine Zeit, welche der Merchandiser entscheidet.
Der Kontext, der sich im Konzept der Arbeit manifestiert, kann ein persönlicher Einfluss sein oder der Umgebung des Künstlers entstammen. Es sei darauf hingewiesen, dass die Reflexion des soziokulturellen Kontextes in der Arbeit sie auch zu einem wertvollen Zeitzeugnis und kulturellen Identität einer geographischen Region macht.
Ernst Ludwig Kirchner, Selbstbildnis als Soldat (1915). Reflexion über das Gefühl der politischen Instabilität während der expressionistischen Zeit.
Schmuckdesigner Alexis Bittar wird bei der Ausstellung "Salute to Absurdity" politisch.
5. Stil
Bildende Kunst wird seit dem letzten Jahrhundert von verschiedenen künstlerischen Stilen beeinflusst, die bestimmte ästhetische, konzeptuelle oder ideologische Merkmale definiert haben, die in bestimmten Epochen geteilt und assimiliert wurden.
Ein Stil entsteht zunächst an einem bestimmten Ort durch einen oder mehrere Künstler mit einem bestimmten Einfluss. Er wird dann in andere Gebiete übernommen, wobei er eine gewisse Transformation durchlaufen kann, um sich in diese Grenzen einzufügen.
Schaufensterkunst auf freiberuflicher Basis von Juan Carlos Barrón
Einige Stile entwickeln sich weiter, jedoch nicht immer – viele Trends, die sich im selben Jahrhundert entwickelt haben, sind nicht immer eine Fortsetzung früherer Ideen. Auch heute noch können frühere Praktiken noch Jahrhunderte später mit einer neuen Perspektive aufgegriffen werden. So war die Renaissance von der griechischen und römischen Klassik inspiriert. Sie durchlief auch in der neoklassischen Kunst und im zwanzigsten Jahrhundert mit dem Neomodernismus eine Renaissance.
Diese Trends unterscheiden sich nicht mehr voneinander als das, was man in der bildenden Kunst und sogar im Merchandising sieht.
Dominante Stile sind derzeit konzeptuell-abstrakte Kunst, jedoch bricht die bildende Kunst mit dem Etablierten, so dass andere Stile und Künstler entstehen können.
Deshalb müssen Merchandiser, auch wenn sie die neuesten Modetrends verkörpern, den Wert und die Geschichte der Marke, die sie repräsentieren, und die der Kunden, die sie kaufen sollen, verstehen. Denn da die Verbraucher nach immer individuelleren Produkten und Erlebnissen streben, ist es Aufgabe des VMs, ein Gefühl von Loyalität gegenüber einer Marke zu schaffen. Zu diesem Zweck machen sie sich einen Trend zu eigen und kreieren einen Stil, verkörpern also eine bestimmte Persönlichkeit.
6. Wert
Obwohl von der Perspektive des Betrachters abhängig, hat die bildende Kunst, unabhängig vom Medium, einen Sinn und Wert. Ein im MOMA ausgestelltes Kunststück ist nicht dasselbe wie ein Schaufenster, egal wie cool dieses auch erscheinen mag.
Der Wert eines Kunstwerks ergibt sich aus seiner Anregung oder seiner Innovation.
Stile einer bestimmten Epoche so zu transkribieren, dass sie Ideale und Eigenheiten eines Ortes, einer Zeit oder einer Marke ausdrücken und sich mit bestimmten Themen befassen, sind Fähigkeiten, die von Visual Merchandisern und Künstlern gleichermaßen erfordert werden.
Da der Handel auf Visual Merchandising angewiesen ist, um den Umsatz zu maximieren, ist dies schon ein Wert an sich.
7. Ästhetik
Kunst ist nicht gleichbedeutend mit Schönheit oder Ästhetik, obwohl diese in den meisten Fällen eine intrinsische Eigenschaft ist.
Ästhetik ist völlig subjektiv und es existieren keine Parameter, um sie zu definieren. Ästhetische Wahrnehmungen sind abhängig von den Präferenzen, der persönlichen Vorstellung und dem kulturellen Kontext.
Die Globalisierung des Visual Merchandising – sowohl im Kontext von Shops als auch im E-Commerce gesehen – bringt weltweit den gleichen visuellen Geschmack mit sich. Andy Warhol sagte einst:
"Eines Tages werden alle Kaufhäuser zu Museen und alle Museen zu Kaufhäusern."
Dieser Tag ist gekommen.
Visual Merchandiser, die eine komplette visuelle Strategie entwickeln, sind Künstler in ihrem Bereich und von der Schaufenstergestaltung über Online-Shops bis hin zum Merchandising handelt es sich bei ihren Kreationen bereits um eine Kunst.
Über Juan Carlos Barrón
Juan Carlos Barrón's ist ein Visual Merchandiser & Creative Project Manager. Seine Fähigkeit, die Identität einer Marke in ansprechende und originelle Bilder umzusetzen, ermöglichte ihm die Zusammenarbeit mit namenhaften Unternehmen u.a. Zara und Lladró, The Conran Shop, Value Retail, National Geographic Stores, Galeries Lafayette, Viktor & Rolf, LÓréal Luxe, Hermès und Armani. Er hat einen Master-Abschluss in Visual Merchandising & Space Management und absolvierte mehrere Kurse, um seine Kenntnisse in Grafikdesign mit Programmen wie InDesign, Illustrator, Photoshop, Live Interior 3D, Mockshop und Shopshape zu erweitern. Seine Arbeit hatte einen großen Einfluss auf die Unterstützung der Bedeutung der Markenpräsentation am POS, indem er die Aktivitäten in den Bereichen Store Implementation, Retail Marketing und Visual Merchandising verstärkte. Außerdem lehrte er am Istituto Europe di Design im Masterstudiengang "Window Display & Visual Merchandising". Im Moment baut er seine eigene Firma "Barron Visual Studio" auf und arbeitet mit Agent Provocateur, Pablo und Chanel zusammen.
Weitere Eindrücke dieser Arbeit finden Sie auf seinem Portfolio oder auf seinem Facebook Profil.